Ich will kein Zuschauer sein

ich möchte selber was tun

und immer wissen, warum

ich geb nicht nach

ich will alles

ich will nie mehr was bereuen

will nicht gescheit sein, nur klug

will nicht perfekt sein, nur gut

ich will mehr

ich will mehr

ich will alles

 

+ Ich will alles – Gitte Henning +

 

Ein echter Powersong aus den 80ern, den ich damals noch von den alten Schlagerplatten meine Eltern kannte, der mir aber Anfang 2020 erneut über den Weg lief. Ich will alles – allein dieser Satz ist schon so wundervoll kompromisslos und klingt in den Ohren so mancher Frau bestimmt ziemlich unverschämt. Er klingt so gar nicht bescheiden oder zurückhaltend, sondern viel mehr egoistisch und fordernd. Genau diese Eigenschaften, so haben die meisten von uns gelernt, stehen einem Mädchen nicht. Bescheiden und brav sollen wir sein, höflich und zuvorkommend, immer auf das Wohl der anderen bedacht. Sich selbst zurückzunehmen, anderen den Vortritt zu lassen und unseren Familien zu dienen, das ist es, zu was wir erzogen wurden. Das schickte sich für ein Mädchen. 

Ein lautes “Ich will” und Wildheit selbst – oder sagen wir passenderweise Lebendigkeit – wurden empört unterbunden. Sich von diesen Erwartungen der Eltern und Großeltern zu lösen, gelingt vielen Frauen nur schwer. 

 

Wie viele von uns stellen sich an letzte Stelle? 

 

Aufopfernd kümmern sie sich um andere, machen ihren Partnern und Kindern alles recht, und meistern mit Bravour den Spagat zwischen Job, Familie und Haushalt. Dass da kaum bis keine Zeit mehr für sich selbst bleibt, ist kein Wunder. Oftmals merken sie es erst, wenn es schon zu spät ist, ihre Ehe oder sie selbst gesundheitlich kaputt sind. Auch wenn wir vielleicht keine eigene Familie haben, ziehen der Alltag und das Leben an uns vorbei und wir sitzen auf der Zuschauerbank und schauen anderen dabei zu, wie sie ihre Tage genießen, eine neue Liebe finden, beruflich zufriedener sind als wir selbst, mehr Geld und offensichtlich weniger Sorgen und vor allem mehr Spaß haben als wir.

Vielleicht blicken wir ein wenig neidisch auf diese Menschen und bedauern es, dass es uns nicht vergönnt ist, ein solches Leben zu leben. Schnell finden wir diverse Gründe dafür, warum es natürlich leider nicht geht. Stimmt, wir sind nicht attraktiv genug. Wie soll sich da jemand in uns verlieben? Stimmt, wir sind vermutlich beziehungsunfähig. Dann kann es ja leider nicht klappen. Stimmt, wir müssen ja das Haus abbezahlen und können uns den Urlaub eben nicht leisten. Stimmt, wir haben ja Kinder zu versorgen und können uns nicht einfach selbstständig machen oder Experimente im Internet wagen. Stimmt, die Kinder sind halt noch klein und deshalb ist es leider nicht möglich mal auszugehen und Spaß zu haben. Stimmt…

Raus aus dem Opfermindset

Kleine Zwischenfrage am Rande: Wer hat eigentlich entschieden, ein Haus zu kaufen und oder Kinder zu bekommen?

Hmmm, stimmt…

Ist es nicht oft so, dass wir uns für oder auch gegen etwas entscheiden und genau das hinterher zum Gegenstand unserer Klagelieder machen? Wenn wir in diesem Punkt einmal ganz ehrlich zueinander sind, finden sicher die meisten von uns solche Punkte in ihrem Leben. Stimmt…

Gitte Henning jedenfalls wirbelt dieses Opfermindset in ihrem Song gehörig durcheinander. Das lyrische Ich in ihrem Lied scheint gerade aus einer Situation zu kommen, in der es unfrei war. Vielleicht hat es eine Trennung hinter sich oder es hatte einfach die Nase voll und. 

Ich will kein Zuschauer sein. Ich möchte selber was tun und immer wissen, warum. 

Das klingt wahrlich nach Selbstermächtigung und Selbstwirksamkeit, nach einem Ich-nehme-mein-Leben-jetzt-endlich-selbst-in-die-Hand. 

 

Raus aus dem Kinosessel

 

Hier möchte eine Frau – nehmen mir jetzt mal an, dass es sich um eine Frau handelt – ihr Leben selbst bestimmen und aus der Passivität einer Zuschauerin heraustreten und aktiv zur Gestalterin ihres Lebens werden. Und das mit einem Warum, das ihr eigenes ist. Sie ist bereit, alles dafür zu tun und will keine Kompromisse mehr eingehen. Ich will nie mehr was bereuen, will nicht gescheit sein, nur klug, will nicht perfekt sein, nur gut. Perfektion zurückschrauben, auch mal Fünfe gerade sein lassen und Neues ausprobieren. Das ist es, was sie will. Sie will mehr und sich nicht mehr zurückhalten, angepasst und brav sein.

Ich würde mir wünschen, dass Gitte Hennings Song und besonders diese Wise Lines viele Frauen – und übrigens auch Männer – ermutigen, ihr Leben aktiv und selbstbestimmt zu gestalten. Als ZuschauerInnen dürfen wir gerne im Kinosessel Platz nehmen und uns dort unterhalten lassen und uns Anregung holen für unser eigenes Leben. Aber wenn wir aus dem Kinosessel aufstehen und wieder ins Leben hinausgehen, dürfen wir unsere eigene Superheldin, unser eigener Superheld sein und uns jeden Tag wieder neu fragen, wie wir es denn gerne hätten und wovon es durchaus auch ein bisschen mehr sein darf. Denn glaube mir, alles – und damit meine ich wirklich alles – ist möglich und du kannst alles haben, was du willst.

Hör dir hier gerne den Text als Podcastfolge an.

Song zur Podcast-Episode auf Spotify: Ich will alles – Gitte Henning

Shownotes

Song: Ich will alles
Singer: Gitte Henning

Songwriter: Michael Kunze, Guido Angelis, Maurizio De Angelis

Listen to the song

Wise Lines Podcast Playlist

Intro/Outro Musik: https://ronaldkah.de/